Geröllfeld – Das Making-of zur Ausstellung

Hannes Gut (links) und Markus Schwander (rechts). Foto: Julia Schallberger

Markus Schwander ist der Künstler der neuen Ausstellung

Wir freuen uns, dass Markus Schwander unserer Einladung gefolgt ist, im Rahmen der edizione Palazzo Salis in Soglio drei künstlerische Interventionen zu schaffen. Nach den Ausstellungen von Eric Hattan und Corina Bezzola findet das Projekt damit zum dritten Mal statt. Für unsere Recherche begaben wir uns im Januar 2019 zu dritt auf den Weg von Basel nach Soglio. Ziel war es, wie bereits in den Vorjahren, den Bergeller Ort von Neuem unter die Lupe zu nehmen, die Geschichte zu erspüren, und die Möglichkeiten für die Ausstellung ausfindig zu machen. Denn ganz egal, wie gut man den Ort und die Strecke kennt, die man zurücklegt, die Reise ist immer wieder ein Prozess des Neuakommens, Beobachtens und Eintauchens. Da ist das Gefühl des Entrückten, Fernen, des gänzlich Offenen, auf der anderen Seite ist das starke Gepräge des Ortes unüberschaubar. Diese gegensätzlichen Aspekte stellen für die Künstler_innen, deren Werke stets ortspezifisch ausgelegt sind, immer wieder Herausforderung dar.

Der Weg ist stets Teil des Ziels. Foto: Julia Schallberger

Ankunft im Palazzo Salis – Erste Eindrücke und Ideen

Nach fünf Stunden Autofahrt von Basel, über den Julierpass, am Silsersee vorbei, runter ins schattige Tal und wieder hoch, erreichten wir schliesslich die Sonnenterasse Soglio. Doch die Sonne blieb aus, die Bise zog. Die Suppe wärmte und die beiden Hoteliers Monika Müller und Christian Speck führten uns durch den für Gäste noch geschlossenen Palazzo. Die Möbel ruhten unter weissen Leinen im Winterschlaf. An der Wand hingen Rüstungen und Jagdtrophäen von vergangener Zeit.

In den Gassen von Soglio. Foto: Julia Schallberger

Inmitten von Natur und Kultur

Der Palazzo Salis liegt direkt am Dorfplatz. Von hier aus verwaltete einst das Geschlecht der Salis seine Besitztümer in weiten Teilen Graubündens und des Veltlins, führte Waffengeschäfte (Söldnerheere) und pflegte die damit verbundenen Beziehungen zu den Mächten Europas. 1876 wurde aus dem Palazzo ein Gasthaus und Hotel für Reisende und Erholung Suchende. Zu ihnen zählten bildende Künstler wie Giovanni Segantini, Alberto Giacometti, oder Literaten wie Rainer Maria Rilke. Und auch heute legt das Hotel grossen Wert auf ein aktives Kulturprogramm welches Begegnungen zwischen Vergangenem und Aktuellem schafft. 2017 wurde zur Etablierung und Vermittlung von Literatur, Musik und Kunst der Verein edizione Palazzo Salis gegründet.

Blick aus Zimmer des Palazzo Salis ins Dorf und in Richtung Maloja. Foto: Julia Schallberger

Der Garten des Palazzo Salis – ein Ort, geschaffen für Kunst

Im Garten strotzen die Mammutbäume. Bei unserem Besuch gewannen sie mit ihrem organischen Wurzelwerk das Interesse des Künstlers. Daneben ruht das steinige, erhöhte Gartenhaus und wartet darauf, im Sommer von Markus Schwander bespielt zu werden.

Blick aus dem Gartenhaus. Foto: Markus Schwander

In der Gasse zum Garten, war es der angrenzend gelegene Schweinestall, der den Künstler neugierig machte. Sogleich war klar, dass an diesem Ort eine der drei künstlerischen Interventionen stattfinden soll. Ebenso werden die ehemaligen Balkonträger zu Sockeln für Kunst.

Fassade des Palazzos (rechts); ehemaliger Schweinestall (links); Eingang zum Garten (im Hintergrund) / Foto: Markus Schwander

Der Bergsturz von Bondo

Im August 2017 wurde die Ruhe in Soglio von einem bedrohlich rollenden Geräusch getrübt. Dieses sollte noch die ganze Nacht anhalten. Vom Piz Cengallo das Val Bondasca hinunter bis ins Dorf Bondo ging ein immenser Bergsturz nieder. Die Geschichte des Bergells ist gezeichnet von wiederkehrenden Berggängen. Auch in Zeiten, in denen die Gefahr schlummert, bleibt das Restrisiko für die Bevölkerung präsent. Die thronenden Berge, üppigen Sommerwiesen und prächtigen Palazzi stehen in einem vehementen Kontrast zu den kraftvollen, Naturkräften, die sich der Kontrolle durch den Menschen entziehen.

Geröll bei Bondo. Foto: Markus Schwander

Bergstürze, topographische Veränderungen, Geröllfelder. Dies sind Themen, die Markus Schwander beschäftigen …

Die Thematik des Bergsturzes, das Nachdenken über Mensch und Natur, prekäre Situationen und die Ruhe nach dem Sturm; das Interesse für Kräfte, Verformungen und Prägungen von Material – dies sind Themen, die Markus Schwander auf den Leib geschneidert sind. Das Bilden von Volumina, das Abgiessen und (Ver-)formen von Steinen und Objekten prägen Markus Schwanders Praxis. Man denke zum Beispiel an die übergrossen Abgüsse von gekauten Kaugummiformen, die in Berggebieten und Flussläufen ausgesetzt, eingebunden und zugleich deplatziert wirken.

untitled, chewed #26, 2009, Beton.
Foto: Marco Volken
untitled, chewed #28, 2009, Beton.
Foto: Markus Schwander, Basel

Markus Schwander und sein Bezug zu Steinen, Bergstürzen und Geröllfelder…

Zwischen 2008 und 2012 setzt sich Schwander mit dem „Bergsturz von Frank“ auf dem Crownsnest Pass auseinander. Mittels Collagetechnik fügt er hunderte Fotografien über- und aneinander. Das Ergebnis sind neue Topografien und Bildräume. Weitere Collagen, Zeichnungen und Installationen, die das Thema des Bergsturzes behandeln, folgen – etwa Goldau, vorher – nachher oder Flimsetüden und Steine im Lager. 2017 erscheint in der edition fink in Zürich die Publikation Shattered Flow. Kurzum: Markus Schwanders Schaffen bildet die ideale Ausgangslage für die Auseinandersetzung mit dem Bergsturz von Bondo.

Die Recherche führt nach Süden – vom Bergell bis nach Chiavenna

Schon seit jeher zog es die Leute in den kalten Monaten aus dem Schattental hinaus gegen Süden. Einige zwang die wirtschaftlich schlechte Lage ab dem 13. Jahrhundert zur Auswanderung ins Ausland – erst nach Venedig, später nach Frankreich, Preussen, Polen, Ungarn und Russland, wo sie den Beruf der Zuckerbäcker und Cafetiers ausübten. Reich geworden, kehrten einzelne ins Bergell zurück und errichteten ihre Palazzi, während die Mehrzahl sich in der Migration durchzuschlagen hatten.

Auch uns führten die Recherchen bis nach Italien. Auf der Autofahrt sprachen wir über die Vergangenheit des Tals, seine Funktion als Handelsstrasse; über seine Bergdörfer, die Kluft zwischen Armut und Adel; über Prunk und Fassade und die wiederkehrenden Bergstürze in der Region. Davon heimgesucht wurde auch das italienische Dorf Plurs. Ein stehen gebliebener Kirchturm erinnert an die Zeit vor dem Sturz.

Mataeus Merian: Bergsturz, Plurs
Campanile. Foto: Julia Schallberger
Markus Schwander erkundet das Gelände bei Plurs. Foto: Julia Schallberger

Hübsche Blende oder bröckelnde Fassade?

Im April zog es Markus Schwander noch einmal nach Soglio und nach Italien. Er begegnete Ausformungen roher Natur und zuckrigen Rokokos; blickte hinter Fassaden und unter Gesteinsmassen.

Rokoko im Palazzo Salis, Chiavenna. Foto: Markus Schwander
Vom Bergsturz zerstörte Fassade in Bondo. Foto: Markus Schwander

Der Künstler mass die Nischen und Räume rund um den Palazzo Salis in Soglio aus, besuchte einen weiteren Palazzo Salis in Chiavenna, betrat das Pflaster von Monza und und näherte sich Stück für Stück der Geschichte und Ästhetik des Ortes an.

Fassade in Chiavenna. Foto: Markus Schwander
Geröll bei Bondo. Foto: Markus Schwander

Klickt euch hier durch die Recherchenskizze von Markus Schwander und lasst euch an der Vernissage vom 7. Juli 2019 vom Ergebnis überraschen. Weitere Infos findet ihr hier. Bis dahin – Hannes & Julia.

Fotos: Markus Schwander